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Digitale Diskussionen um Digitalisate

 Seit dem 30. 10. 2015 herrscht reges Debattieren in Historiker- und Grundwissenschaftlerkreisen. Angestoßen von einem neuen Grundsatzpapier geht es um die Stellung der Historischen Grundwissenschaften an den Universitäten ebenso wie deren Kooperation mit den immer wichtiger werdenden Digital Humanities. Wir geben euch hier einen Überblick über den derzeitigen Stand.


Am 30. Oktober 2015 veröffentlichten Eva Schlotheuber(Düsseldorf) und Frank Bösch (Potsdam) ein neues Grundsatzpapier zur Stellung der Historischen Grundwissenschaften im modernen Zeitalter (hier). Anschließend brach eine lebhafte Diskussion zur Bedeutung grundwissenschaftlicher Fertigkeiten und digitalen Herausforderung los. Auch wenn Schlotheuber/Bösch in ihrem Grundsatzpapier den deutschen Sprachraum im Fokus haben, gestaltet sich die Diskussion mit Beiträgen aus den USA, Israel, Großbritannien und Schweden  international.

Der zentrale Punkt der Debatte ist zum einen die Rolle der Historischen Grundwissenschaften an den deutschen Universitäten, zum anderen ihr Verhältnis zu den aufkommenden Digital Humanities. Breiter Konsens herrscht bezüglich des großen Nutzens der digitalen Möglichkeiten für die grundwissenschaftliche Forschung. So können beispielsweise durch Digitalisierung unterschiedliche Quellenarten (Urkunden, Akten, Siegel, Münzen etc.) einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.

Mit gutem Beispiel voran

Als Beispiel dafür stellt Jon Olsen (Amherst) ein Projekt der Library of Congress in den USA vor, die Fotografien von Baseball-Spielen, zu denen ihr keinerlei Informationen vorlagen, online zugänglich machte und durch die Mithilfe der Öffentlichkeit letztendlich vielfach genau datieren und Hintergrundinformationen sammeln konnte (hier). Dass aus den neuen technischen Möglichkeiten jedoch auch neue Pflichten und Anforderungen an die Historiker erwüchsen, betonen Tatjana Tönsmeyer (Wuppertal) und Peter Haslinger (Marburg) (hier): „Nicht alles, was technisch möglich [ist, ist] auch ethisch, quellenkritisch und historiographisch sinnvoll sowie geboten“. Historiker müssten daher neue Maßstäbe an öffentlich zugänglich gemachtes Material anlegen, da sie bspw. bei Kriegsquellen ansonsten Gefahr liefen, zur Verharmlosung des Grauens beizutragen. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, neben solchen Quellen auch die kritische Kommentierung online zugänglich zu machen.

Versunken im Datenstrudel

Allerdings, so die häufig geäußerte Sorge, nützten all diese finanziell aufwendigen Digitalisierungsprojekte herzlich wenig, wenn es kein fachkundiges Publikum gebe, welches mit den zur Verfügung gestellten Daten umzugehen wisse. So warnt etwa Eva Pfanzelter (Innsbruck) vor „ungenutzten Datenfriedhöfen“, wenn ohne kritische historische Prüfung digitalisiert werde (hier). Ähnliches befürchtet Jeffrey Hamburger (Harvard), wenn Studenten nicht mehr die grundlegenden, wenn auch „not necessarily the most sexy skills“ an die Hand gegeben würden, um historisches Quellenmaterial zu analysieren (hier).

Um genau dies zu verhindern, sieht Katrin Moeller (Halle-Wittenberg) Historiker in der Pflicht, sich stärker an der Nachbereitung von Digitalisierungsprojekten zu beteiligen. Denn Historiker könnten auch in Zeiten, da durch Internet- und Computernutzung enorme Datenmengen anfielen, sehr gut einschätzen, welcher Teil dieser Big Data speicherungswürdig sei und welcher verworfen werden könne (hier).

Kritik muss an der Basis ansetzen

Doch die Beitragenden ergehen sich nicht nur in Kritik an der verbesserungswürdigen Position ihres Faches. Um der fortschreitenden Marginalisierung der historischen Grundwissenschaften in der deutschen Universitätslandschaft entgegenzuwirken, werden durchaus selbstkritische Töne angeschlagen, die sowohl die Forschungsmethoden als auch die Lehrinhalte der Seminare miteinschließen.

So fordert etwa Karl Ubl (Köln), dass sich auch die Lehre wandeln und auf die neuen Möglichkeiten digitaler Datenbanken eingehen müsse (hier). Ähnlich stellt Wolfgang Schmale (Wien) das Selbstverständnis des Faches zur Debatte und ruft zu mehr Interdisziplinarität der Geschichtswissenschaft und Kooperationen mit etwa naturwissenschaftlichen Fachbereichen auf (hier). Markus Krajewski (Basel) sieht andernfalls die Gefahr, dass sich unter Historikern ein „digitaler Analphabetismus“ ausbreiten könne (hier).

Jan Keupp (Münster) sieht nicht alleine die Hilfswissenschaften in der Pflicht, wenn es darum geht, die Digital Humanities in die geschichtswissenschaftliche Lehre und Forschung aufzunehmen (hier). „Die geforderte "Integration der Digital Humanities" ist eine genuine Gemeinschaftsaufgabe der gesamten historischen Zunft.“

Ob die heutige Geschichtswissenschaft ihre Forschung überhaupt noch auf einer ausreichend breiten Quellenbasis fundiere, fragen gleich mehrere Beitragende, etwa Georg Vogeler (Graz) (hier) oder auch Claudia Märtl (München) (hier). Harald Müller (Aachen) wünscht sich eine Rückkehr zu mehr grundwissenschaftlichem und quellenorientiertem Arbeiten im Forschungs- und Lehrbetrieb (hier). Anstelle der aktuell dominierenden Literaturdiskussionen fordert er „die Festigung einer überlieferungsbezogenen und überlieferungskritischen Fachkultur in Forschung und Lehre“ und „Quellenkundigkeit allüberall!“

Alles neu machen die digitalen Möglichkeiten

Neue Inhalte und Präsentationsformen in Lehre und Forschung hält Andreas Fickers (Luxemburg) für möglich und notwendig. Die zunehmende Digitalisierung auch der Wissenschaft biete die Chance, durch audiovisuelle Darstellungsformen wie etwa Podcasts oder Videoessays ein größeres Publikum zu erreichen und „dem oft beklagten ‚Autoritätsverlust’ der Geschichtswissenschaft in populären Medien“ entgegenzuwirken (hier).

Dass die Historischen Grundwissenschaften teils zu sehr in ihren traditionellen Arbeitsweisen gefangen seien, beklagt Torsten Hiltmann (Münster). Anstatt die Digital Humanities neben den althergebrachten Grundwissenschaften als weitere Teildisziplin einzureihen, müssten digitale Fertigkeiten und traditionelle Methoden miteinander verbunden werden (hier). Auch Jochen Johrendt (Wuppertal) hält ein Ausbrechen aus allzu traditionsbezogenen Denkmustern für nötig. Nur so sei der aktuelle Bedeutungsschwund der Grundwissenschaften in einen Aufschwung des Faches wie im späten 19. und 20. Jahrhundert umzukehren und das Fach könnte auch international wieder zu Ansehen kommen (hier).

Gregory Crane (Leipzig/Tufts) hält es darüber hinaus nicht für ausreichend, die Bedeutung hilfswissenschaftlicher Forschung nur öffentlich zu betonen, um der Lehrstuhlstreichung Einhalt zu gewähren. Vielmehr müsse der tatsächliche Nutzen dieser Lehrstühle überdacht und notfalls seine Arbeitsweise und Methode angepasst werden, damit die Forschung auch wirklich relevante Beiträge leiste (hier).

Die jeweiligen Beiträge sind bei HSozKult einzeln in einem Diskussionsforum verlinkt (hier). Eine Zusammenfassung und seine Meinung gab Jörg Wettlaufer in seinem eigenen Blog auf digihum.de.

 

Zum Schluss ist alles offen

Letztendlich werden die nächsten Jahre zeigen, ob es uns gelingt, den entscheidenden Schritt zu machen und die richtigen Maßnahmen zu finden, um die historischen Grundwissenschaften zu erhalten und voran zu bringen. Eine offene rege Diskussion ist dazu schon mal eine guter Anfang und muss erhalten bleiben. Deswegen ist nun geplant, die angestoßene Debatte aus der digitalen in die analoge Welt zu bringen und live und in Farbe fortsetzen, beim diesjährigen Historikertag vom 20. - 23. September in Hamburg.

 



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